Unerwartet sonniges Irland
- Ursina Candraja
- 31. Aug.
- 8 Min. Lesezeit
In den Sommerferien wurden unsere Erwartungen an Irland erfüllt. Wir fuhren im Regen durch grüne Wiesen mit vielen Schafen entlang spektakulärer Klippen und fanden mehr als genug Pubs für den kleinen und grossen Durst. Die Insel hatte zusätzlich aber auch noch einige Überraschungen zu bieten. Eine ganze Woche lang durften wir aussergewöhnlich sonniges Wetter geniessen. Zur Abkühlung wurde in fast jeder Tankstelle und jedem Supermarkt XL-Vanille-Softeis angeboten und zwischen den Klippen fanden wir wunderschöne Strände, an denen wir uns ins kalte Wasser stürzen und mit dem Meeresrauschen einschlafen konnten. Das Landesinnere hatte nicht nur grüne Wiesen, sondern auch Wälder, Berge, Seen und neben hübschen, bunten Häusern unzählige verlassene Gebäude in jedem Verfallsstadium zu bieten.

Wir starteten unseren Roadtrip am Hafen von Rosslare, den wir nach einer 17-stündigen Fährfahrt von Frankreich erreichten. Wir hatten das Glück schon von der Fähre die ersten Delfine beobachten zu können, die in den Bugwellen auf der Jagd waren.
Klippen und Strände
An der Südküste Irlands fuhren wir Richtung Westen und kamen schon bald zu unserem ersten Schlafplatz beim Leuchtturm am Hook Head. Mit 800 Jahren gehört er zu den ältesten noch funktionierenden Leuchttürmen Europas.
Nicht nur Meersicht, sondern zusätzlich noch einen langen Sandstrand bot der Stellplatz in der Broadstrand Bay, wo wir einen gemütlichen Nachmittag verbrachten. Auch die Einheimischen genossen das schöne Wetter. Einige machten mit oder ohne Hund einen Strandspaziergang, während andere im Auto sitzen blieben und dort einen Kaffee tranken, Zeitung lasen oder einfach nur aufs Meer blickten. Diese Verhalten hat uns immer wieder etwas erstaunt, aber vielleicht sind sich die Iren das so gewöhnt, weil es meistens regnet und es dann mit Autodach über dem Kopf gemütlicher ist. Ein paar Einheimische wagten sich allerdings sogar ins kalte Wasser, wobei das Schwimmen im Meer dort nur von Frauen praktiziert wird und das auch erst seit Corona, wie wir von einem wartenden Ehemann erfuhren. Wir machten es trotzdem umgekehrt und ich blieb am Strand, während sich meine Männer eine kurze Abkühlung gönnten. Niemals hätten wir gedacht, dass dieser idyllische Ort eine Woche zuvor Schauplatz eines Verbrechens geworden war, was wir dank der gesprächigen Iren aber schnell erfuhren. Bei einem Grosseinsatz von Polizei und Interpol waren 400 kg Kokain im Wert von 40 Millionen Euro von einem Schmuggelschiff beschlagnahmt und vier Männer verschiedener Nationalitäten verhaftet worden.
Nach einer vollkommen ruhigen Nacht am «Kokainstrand» erkundeten wir die nächsten Tage bei unserer Weiterfahrt auf dem Wild Atlantic Way die fünf Halbinseln im Südwesten Irlands. Auf der südlichsten Halbinsel führt am Mizen Head ein Weg vom Besucherzentrum zu verschiedenen Aussichtsplattformen. Über eine Brücke gelangt man zur 1906 errichteten Signalstation, welche ursprünglich dazu diente Schiffe vor den gefährlichen Klippen zu warnen.
Auf der einsamen, dünn besiedelten Sheep’s Head Halbinsel schnürten wir unsere Wanderschuhe, um auch dort die äusserste Spitze auszukundschaften.
Gemütlich ging es auf dem Ring of Beara weiter bis zur einzigen Seilbahn Irlands, welche diese Halbinsel mit Dursey Island verbindet. In einer Kabine können wahlweise sechs Personen, sechs Schafe oder eine Kuh auf die andere Seite befördert werden.
Touristischer wurde es auf den nächsten beiden Halbinseln. Der bekannte Ring of Kerry auf der Iveragh Halbinsel und der Slea Head Drive auf der Dingle Halbinsel bieten den Reisecars zwar breitere Strassen, aber nicht unbedingt ein schöneres Panorama als andere Küstenabschnitte. Durchaus berechtigt zählt allerdings die Derrynane Beach mit der gleichnamigen Abbey am Ring of Kerry zu den schönsten Stränden Irlands und das Warten auf einen freien Parkplatz lohnt sich, sowie auch ein Abstecher zu den Cliffs of Kerry. Überbewertet ist dagegen am Slea Head Drive der berühmte Dunquin Pier, ausser eine Schafherde wird per Zufall gerade auf dem sich nach oben schlängelndem Pfad vom Pier hinaufgetrieben, wo sich bei uns aber nur Touristenscharen tummelten.
Weniger touristisch, dafür umso spektakulärer wurde es am etwas weiter nördlich gelegenen Loop Head. Da der Wind ausnahmsweise nur mässig wehte, konnten wir diesen besonderen Ort dank Drohnenaufnahmen auch noch aus der Luft bewundern.
Lange konnten wir die Einsamkeit nicht geniessen und waren schon am nächsten Tag am grossen Kilkee Stadtstrand in Gesellschaft ganz vieler Einheimischer, die mit uns wohl einen der wärmsten Sonntage des Jahres am Meer verbrachten. Am Abend besuchten wir die nahegelegenen Cliffs of Moher, Irlands Haupttouristenattraktion. Ähnlich wie die Fahrt auf dem bekannten Ring of Kerry waren auch diese weltberühmten Klippen für uns ein wenig enttäuschend, was wohl auch mit den hohen Erwartungen zusammenhing. Die Wege um die Klippen sind zwar gut in die Landschaft integriert, aber leider so weit nach hinten versetzt, dass die Aussicht auf die steilen Felswände eingeschränkt wird. Zudem sind die nach Süden und Norden führenden Wanderwege leider für längere Zeit gesperrt. Auf dem Besucherareal durften wir uns aber auch noch nach der Schliessung des Besucherzentrums aufhalten und auf dem dazugehörigen Parkplatz sogar übernachten.
Einen speziellen Strand fanden wir in der Connemara Region. Der rötliche Korallenstrand Tra an Doilin besteht weder aus Sand noch aus Korallen, sondern aus Resten toter Rotalgen.
Trotz des Wetters, das mittlerweile nicht mehr untypisch sonnig und warm, sondern typisch irisch wechselhaft und regnerisch war, gehörte die Panoramastrasse nach und um Achill Island für uns zu den schönsten Routen unseres Roadtrips. Leider war bei diesen Verhältnissen aber keine Wanderung vom Keem Strand am Ende der Strasse zu den Cliffs of Croaghaun, den höchsten Steilklippen Irlands, möglich. Und auch für unserer Drohne war der Wind zu stark, um einen längeren Flug bis zu den Klippen zu wagen.
Für eine Umrundung von ganz Irland reichten unsere drei Wochen nicht. Deshalb verliessen wir die Westküste auf Höhe der Grenze zu Nordirland, nachdem wir beim Downpatrick Head unsere letzte Nacht am Meer verbracht hatten.
Die Parkplatz- und Schlafplatzsuche war trotz vieler Höhenbeschränkungen einfacher gewesen, als befürchtet und wir haben sogar ein paar Plätze ganz für uns allein geniessen können. Das Dachzelt am Morgen mit Aussicht aufs Wasser zu öffnen und nichts als das Rauschen des Meeres zu hören (zumindest bis die Kinder wach sind), ist für uns ein grösserer Luxus als das komfortabelste Hotelzimmer.
Berge und Seen
Auch wenn ich mir Irland als grosse grüne Wiese vorgestellt hatte, gab es doch auch Wälder, Berge und Seen. Wegen einem Regenschauer verbrachten wir unsere zweite Nacht auf einem Bauernhof mit einem einfachen Aufenthaltsraum. Nach einem ruhigen Abend herrschte am nächsten Morgen plötzlich Hochbetrieb und ein Auto nach dem anderen wurde vom Hausherrn auf dem ganzen Hofgelände in Parkplätze eingewiesen. Allein, zu zweit und in grossen Gruppen marschierten die Neuankömmlinge vom Bauernhof los. Die Galtee Mountains um uns herum schienen ein so beliebtes Wandergebiet zu sein, dass wir uns das auch nicht entgehen lassen wollten. Unser netter Gastgeber gab uns noch ein paar Tipps und warnte uns vor herunterziehendem Nebel. Da die Wanderwege, wie vielerorts in Irland, eigentlich gar keine Wege waren und Markierungen auch nur teilweise oder überhaupt nicht vorhanden waren, haben wir dann doch kurzzeitig die Orientierung verloren. Gesehen haben wir zumindest im oberen Teil leider auch nicht besonders viel, aber bei schönem Wetter ohne Nebel und starkem Seitenwind, dafür mit Aussicht ist eine Wanderung auf die Galtees sicher empfehlenswert.
Unsere zweite Bergtour führte uns im Connemara Nationalpark auf den Diamond Hill. Dort war der Weg top ausgebaut und wir konnten die Aussicht auf die umliegenden Berge, auf das Meer und Seen ohne Nebel und Windböen geniessen.
Auch wenn keine Zeit für Wanderungen bleibt, ist bereits die Fahrt um den Connemara Nationalpark, nördlich davon weiter entlang der zwei Seen Lough Fee und Lough Muck und anschliessend durch das Delphi Valley wunderschön. Zwischen dem Lough Muck und Lough Fee fanden wir auch einen unserer idyllischsten Schlafplätze Irlands. So nah am Wasser hatten wir unser Dachzelt noch nie aufgeklappt und die Aussicht war entsprechend einmalig.
Bei der West-Ost-Durchquerung Irlands vom Downpatrick Head nach Dublin verbrachten wir zwei Tage am zweitgrössten See des Landes, dem Lough Ree. Die Jungs angelten vom Land und von einem langsam vor sich hin tuckernden Fischerboot aus. Unverhofft durften wir auch noch eine Runde mit einem leistungsstärkeren Motorboot fahren. Unser kleiner Boot-Fan hat auf dem Campingplatz das Motorboot eines anderen Gastes abgezeichnet und ihm die Zeichnung geschenkt. Er freute sich so sehr, dass er uns einlud eine Runde mit ihm zu drehen. Die Jungs durften sogar ans Steuer und drückten den Gashebel bis an den Anschlag. Zum Glück schleuderte es uns in der Kurve nur ins Boot und nicht über Bord.
Steinkreise, Burgen und weitere Zeugnisse der Vergangenheit
Verglichen mit unserer Schottlandrundreise vor zwei Jahren, fanden wir in Irland etwas weniger Burgen und Schlösser, dafür mehr Abbeys, in und um deren Überreste häufig Friedhöfe angelegt wurden. Die erste Abtei, die Tintern Abbey, besichtigten wir bereits auf dem Weg von der Fähre zu unserem ersten Schlafplatz am Hook Head. Zwei einheimische Ladies gaben uns Tipps, von wo sich die Abbey am schönsten fotografieren lässt. Als Schweizer ist man im Ausland immer wieder erstaunt, wie schnell und unkompliziert die Leute mit einem ins Gespräch kommen.
Weitere Stopps legten in wir in Südirland beim Kilkenny Castle, dem Rock of Cashel und dem Timoleague Friary ein. Die Gräber innerhalb der Abbeymauern können dort kostenlos besichtigt werden. Weiter nördlich in der Nähe von Galway umrundeten wir das Dunguaire Castle, dessen Tore allerdings verschlossen waren.
Beim Drombeg Steinkreis aus der Bronzezeit, dem Staigue Fort aus dem 4. oder 5. Jahrhundert und dem Poulnabrone Dolmen aus der Steinzeit tauchten wir noch tiefer in die Vergangenheit ein. Das Grosssteingrab liegt in den Burren, einem ungefähr 250 km2 grossen Kalksteingebiet nördlich der Cliffs of Moher.
Zeugnisse der Vergangenheit fanden wir in Irland nicht nur an solchen Touristen-Spots, sondern in Form von verlassenen Häusern in jedem möglichen Verfallsstadium über die ganze Insel verteilt. Diese Häuser stehen nicht nur in verlassenen Regionen, sondern häufig auch direkt neben oder zwischen neuen, schmucken Häusern mit gepflegten Vorgärten. Bei zwei dieser verlassenen Häuser haben wir unsere Neugier gestillt und einen kleinen Blick hineingewagt. Welche Geschichte wohl dahinterstecken mag, dass diese zwei Häuser mitsamt Inventar verlassen wurden und jetzt langsam von der Natur zurück erobert werden.
Dörfer, Städte und Pubs
Viele Eigentümer der verlassenen Häuser auf dem Land werden wohl in grössere Ortschaften abgewandert sein und in einigen dieser Dörfer und Städte haben auch wir einen Stopp eingelegt. Cobh im Süden Irlands war der letzte Hafen, den die Titanic vor ihrem Untergang angesteuert hatte. Heute ist im ehemaligen Ticket Office ein Museum untergebracht, in dem wir an einem geführten Rundgang teilnahmen. Nach einem weiteren Rundgang im Städtchen stellten wir mit Schrecken fest, dass bei der Ausfahrt vom Parkplatz eine Höhenbarriere war, die wir übersehen hatten. Als wir ankamen, war sie offen gewesen und das Schild daneben hatten wir auch nicht gelesen. Ganz klein stand darauf geschrieben, dass eine Befreiungsaktion aus dem Parkplatz 150 Euro kostet. Wir haben uns schon auf die Suche nach Helfern gemacht, um unser Dachzelt vom Dach abzumontieren. Aber wir hatten wieder mal Glück im Unglück und der aussichtslos erscheinende Versuch unter der Barriere durchzufahren ist uns geglückt, auch wenn nur Millimeter zwischen dem Dachzelt und der Barriere lagen.
In Kinsale suchten wir neben der Kirche einen Parkplatz ohne Höhenbeschränkung und schlenderten durch die hübschen, bunten Gassen zum Hafen, wo wir von einem Strassenmusikant eine erste Kostprobe irischer Musik erhielten.
Farbenfrohe Häuser fanden wir auch in Portmagee, wo wir uns Fish and Chips genehmigten und in Doolin, wo ein Softeis als Mittagessen ausreichte. Dieses XL-Vanille-Softeis findet man in Irland an jeder Ecke, in Tankstellen und Supermärkten. Im Städtchen Dingle machten wir uns zur Abwechslung nicht auf die Suche nach einem Supermarkt, einem Wasserhahn oder einem Mülleimer, sondern nach der Statue von Fungie. Fungie war ein Delfin, der sich seit 1983 für fast 40 Jahre im Hafen und der Bucht von Dingle aufhielt.
Von den grossen Städten Irlands besuchten wir Galway und Dublin. In Galway verbrachten wir einen Regentag und flüchteten uns während den Regenschauern in Einkaufszentren, in die Kathedrale und in Pubs. Wir erreichten die Stadt bequem mit dem Zug von Oranmore, wo man auf dem grossen Parkplatz am Bahnhof auch übernachten könnte. Auch wenn wir in den Gassen wahrscheinlich weniger Strassenkünstler als bei schönem Wetter antrafen, gefiel uns die gemütliche Atmosphäre.
Bevor es im Südosten Irlands wieder auf die Fähre Richtung Frankreich ging, verbrachten wir einen Tag in Dublin. Zum Abschluss tranken wir im Guinness Storehouse über den Dächern der Hauptstadt das letzte (für mich das einzige) Glas des irischen Nationalgetränks und lauschten im legendären Temple Bar Viertel beim Burgeressen das letzte Mal irischer Livemusik.






























































































































































































































