Das Leben auf Gavdos
- Ursina Candraja
- 16. Apr. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Gavdos hat uns fasziniert, erstaunt, beeindruckt und zum Nachdenken angeregt. Diese kleine Insel hat weitaus mehr zu bieten als den südlichsten Punkt Europas. Wir durften ein paar Tage länger als geplant in eine andere Welt eintauchen, über die man nicht nur einen Blogbeitrag sondern ein ganzes Buch schreiben könnte.
Wir begannen die Erkundung von Gavdos mit einer Inselrundfahrt, welche nicht mehr als eine Stunde dauerte. Dabei steuerten wir zuerst einen Minimarkt an. Das ganze Gelände schien verlassen. Irgendwo fanden wir einen kleinen Zettel mit Öffnungszeiten. Obwohl der Minimarkt nur am Sonntag geschlossen sein sollte, sah auch am Montag noch alles genau gleich aus und weit und breit war niemand zu finden. Vom Minimarkt aus führte uns ein Wanderweg durch Sanddünen zum Agios Ioannis Strand. An dessen Hängen bestaunten wir in den Bäumen verschiedene selbstgebaute Unterstände und die Jungs schichteten weitere Steine auf eine kleine Mauer. Wir genossen die Ruhe und beobachteten die Wellen. Ein Mann lief den Strand entlang, er lief an uns vorbei, lächelte, hob seine Hände gegen den Himmel und drehte sich mehrmals im Kreis.
Eine andere Stichstrasse führte uns zum dichter bebauten, grossen Sandstrand von Sarakiniko. Vor den Häusern standen zerfallende Autos, verrostete Waschmaschinen und verschiedenstes Mobiliar und Material. In der verlassenen Reggae Bar am Ende der Strasse wird im Sommer wahrscheinlich bis in die Nacht gefeiert. Wir haben erfahren, dass im Sommer 3000 Touristen pro Tag die Insel besuchen und 80% von ihnen an den Stränden in Zelten schlafen. Im Moment leben laut dem Hafenpolizisten, der für zwei Wochen auf Gavdos stationiert ist, aber nur 40 Einwohner auf der Insel. Auf Gavdos gibt es eine Polizeistation, eine Feuerwehrwache und ein Spital, welche alle aus einem kleinen Betonhäuschen mit dem passenden Fahrzeug davor bestehen. Touristen hat es im Moment auch fast keine auf der Insel und die paar wenigen, welche wir kennenlernen, sind Langzeitaufenthalter oder Aussteiger.
Als Nächstes steuerten wir den Leuchtturm der Insel an. Das ganze Gelände ist militärisches Sperrgebiet mit einem deutlich gekennzeichneten Fotografie- und Drohnen-Verbot. Das Militär hält Ausschau nach Flüchtlingsbooten von Afrika, dessen Umrisse wir bei klarer Sicht am Horizont schwach zu erkennen meinen. Wieder einmal wurde uns auf unserer Reise bewusst, wie privilegiert wir sind aus Freude am Reisen die nächsten Monate unterwegs sein zu dürfen. In der Nähe des Leuchtturms ist das kleine Dorf Ampelos. Das Dorf besteht neben zwei Häusern mit schönen Gärten hauptsächlich aus Ruinen einer Siedlung aus vergangenen Zeiten. Wir wurden von lautem Hundegebell begrüsst und der Wachhund rannte aufgeregt hinter dem Zaun eines gepflegten Hauses rauf und runter. Er hörte nicht auf bis wir aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Eine alte, ganz in Schwarz gekleidete Frau mit einem Kopftuch krächzte uns einen unverständlichen Gruss zu und fütterte ihre kleinen Zicklein mit Milch aus einer PET-Flasche. Vom Dorf lässt sich über einen schmalen Pfad in ca. einer Stunde der Potamos Strand erreichen. Der Sand ist goldfarben und endet in einer tiefen Schlucht. Seit zehn Jahren wird die Schlucht zehn Monate pro Jahr von einem Einsiedler bewohnt, welcher das hektische Stadtleben von Athen gegen Einfachheit und Einsamkeit eingetauscht hat. Nur noch in der Hochsaison arbeitet er als Koch in einer kleinen Taverne. Gavdos ist eine Insel für Aussteiger, Einsiedler und alle die ihren Platz im modernen System mit seinen gesellschaftlichen Normen nicht finden können oder möchten . Hinter Büschen verstecken sich an verschiedenen Orten Zelte, Wohnwagen und selbst gebaute Hütten.
Im Hauptort Kastri fanden wir aber sogar in dieser ruhigen Saison etwas Leben. Die Inselbewohner treffen sich in der Bäckerei von Stella am wohl einzigen Stammtisch der Insel. Einheimische, Aussteiger und Langzeitreisende trinken, rauchen und reden miteinander über Gott und die Welt. Auch wir besuchten Stella während unserem Aufenthalt dreimal. Am Sonntag waren die Gestelle bis auf einen köstlichen Käsekuchen und Spinattäschchen leer. Brot backt sie zurzeit nur zweimal in der Woche und so deckten wir uns am Montag mit Vorräten ein und bekamen von Stella noch einen Vanillecake und vier frische Eier von ihren Hühnern kostenlos dazu. Stella erzählte uns von ihrem Leben und ihren Sorgen, aber sie schien alles andere als unzufrieden zu sein und ist zu Recht stolz auf ihre Bäckerei, die südlichste Bäckerei von ganz Europa. Beim letzten Besuch waren auch zwei punkige Ladies da und als wir Stella verliessen, wurde die Bäckerei kurzerhand zum Coiffeursalon und Stella erhielt von einer der beiden einen neuen Haarschnitt. Neben der Bäckerei hat es in Kastri auch noch drei Tavernen und einen kleinen Minimarkt. Wir entschieden uns für die einfache, traditionelle Taverne. Auf einer Tafel waren verschiedenen Gerichte aufgelistet, aber es standen an diesem Tag nur vier davon zur Auswahl. Wir wählten Schweinespiesschen, Würste und griechischen Salat. Ein älterer Gast aus Kreta, der auf Gavdos seinen Ruhestand geniesst, bestand aber darauf, dass wir die mit Frischkäse gefüllten Teigtaschen auch noch bestellen und wir bereuten es nicht. Die Taverne wird von einem jungen Mann und seiner Mutter geführt. In einer Ecke sass ein alter Mann, der rauchte und die Steine einer Kette hin und herbewegte. Den Minimarkt fanden wir erst am letzten Tag, da er weder in Google Maps aufgeführt, noch von aussen angeschrieben war. Der Markt bestand aus zwei langen Holzregalen, einem Kühlschrank und ein paar Gemüsekisten. Am Ende des langgezogenen Raums sassen zwei rauchende Männer an einem Tisch. Die Auswahl war bescheiden und statt die Qual der Wahl zwischen verschiedenen Apfelsorten zu haben, griffen wir nach dem einzigen Apfel, der in der Ecke einer Kiste verblieben war. Auf die Karotten verzichteten wir, da sie mehr schwarz als orange waren. Da die Fähre wegen stürmischer See ein paar Tage nicht gefahren war, hatte der Minimarkt keinen Nachschub erhalten. Die Jungs legten unseren Einkauf auf die Waage an der Kasse, aber der Mann winkte ab, gab einen kurzen Blick auf unsere Einkäufe und nannte uns seinen Preis.
Das Leben auf Gavdos ist einfach und wer Luxus erwartet, ist sicher fehl am Platz. Für uns war es wohltuend, uns weder in der Bäckerei noch in der Taverne oder im Minimarkt zwischen unzähligen Produkten entscheiden zu müssen und die Insel einfach so lange geniessen zu können, bis die Fähre wieder fahren konnte. Unseren Schlafplatz verlegten wir wegen dem starkem Wind für die letzten drei Nächten ins Inselinnere neben eine Kapelle. Auf Gavdos durfte unser Auto stehen, wo wir wollten und wie lange wir wollten und wenn einmal jemand vorbeifuhr, winkte er uns freundlich zu. Als wir in Kastri fragten, ob wir unser Auto bei der Einfahrt zu einem Grundstück hinstellen dürfen, hiess es nur: „Warum denn nicht?“ Vieles stand in einem grossen Kontrast zu unserem Leben in der Schweiz und am meisten beeindruckte uns die Toleranz, der Respekt und das friedliche Miteinander, wovon auf dieser Insel nicht geredet, sondern gelebt wird. Natürlich fielen uns auch negative Seiten auf. Es wurde auf Gavdos geraucht und es wurde getrunken, aber es war ein Teil des gesellschaftlichen Lebens und geschah nicht aus Stress oder Verbitterung im stillen Kämmerlein. Wir haben natürlich nur einen kleinen Einblick erhalten und können nicht beurteilen, wie es in der Hauptsaison aussieht, aber auch die verschiedensten Touristen scheinen willkommen zu sein. Sie bringen nicht nur Geld, sondern dank des Tourismus wird der Insel und ihrer intakten Umwelt Sorge getragen, meinte Stella.
Unsere Tage auf Gavdos endeten am Hafen. Da die Fähre mehrere Tage nicht gefahren war, schien sich die ganze Insel hier versammelt zu haben und wir konnten beobachten wie dicke Bambusstangen, Baumaschinen und -material, Lebensmittel und zahlreiche Bananenschachteln ausgeladen wurden. Medikamente, Post und Pakete wurden verteilt und wir fuhren mit ein paar wenigen Fahrzeugen und einigen Ziegen auf die Fähre.
Auf dem Deck der Fähre blickten wir auf Gavdos zurück, genossen ein paar köstliche Schokoladenkekse von Stella und ihre Worte gingen mir durch den Kopf: „Mache, was DICH glücklich macht.“

"Vielen Dank Stella!"






































